Hallo,

ich bin Anouk - ich lebe im Jahr 2123. Heute Morgen wurde ich vom hellen Schein der Sonne geweckt, die Strahlen tragen den feinen Staub durch die Luft, der sich überall absetzt. Niemand aus meiner Gemeinde weiß mehr genau, wann es zum letzten Mal geregnet hat. Es muss schon viele Monate her sein, die Erde ist ganz ausgetrocknet und brüchig. Ich schaue aus dem Fenster, wie jeden Morgen - auf der Suche nach dicken, dunklen Wolken am Himmel, die uns endlich Regen bringen - doch heute ist wieder keine zu sehen.

Also mache ich mich auf den Weg zu Großmutter. Ich esse immer mit ihr gemeinsam

Frühstück. Es gibt Haferbrei, davon haben meine Eltern damals einen großen Vorrat

angelegt, frisches Obst und Gemüse hatten wir schon seit Wochen nicht mehr. 

Nach dem Frühstück gehe ich meiner Lieblingsbeschäftigung nach - ich liebe 

Bücher, und davon gibt es noch unzählige in der alten Bücherei am Rande 

unserer Stadt. Kein Mensch geht dort hin, nur ich und Elena, die alte Biblio-

thekarin. Wir treffen uns immer am Eingang des alten Gebäudes, und sie 

erlaubt mir dann, so lange ich möchte, durch die Gänge zu stöbern und 

nach den verborgenen Schätzen zu suchen.

Ich habe schon viele tolle Bücher gefunden, in einem war die Welt aus 

dem Jahr 2000 dargestellt. Dort gab es so lustige weiße Flecken oben und

 unten auf der Erde. Die Menschen nannten sie "Polkappen". Heute kann ich 

mir kaum vorstellen, wie es war, als es noch Regen gab und die Erde grün und 

lebendig war. Aber in diesen Büchern finde ich immer wieder die Geschichten von 

einer Welt, die im Überfluss lebte, von sauberem Wasser, grünen Wäldern und blüh-

enden Blumen. Manchmal frage ich Elena, wie das wohl gewesen sein mag.

Sie sieht mich dann immer traurig an, als ob sie sich an die Zeit erinnert, bevor die großen Dürren kamen. Aber sie erzählt mir auch von den Träumen der Menschen, von ihrer Entschlossenheit, die Erderwärmung aufzuhalten. Sie erzählt von unzähligen Wissenschaftlern, die neue Technologien in die Welt brachten, um saubere Energie zu erzeugen oder zu speichern. Sie erzählt von Familien und ganzen Dörfern, die ihre Energieversorgung selbst in die Hand genommen haben, von Menschen, die die Hoffnung in sich trugen, CO2-neutral zu werden. In diesen Momenten leuchten Elenas Augen, doch dann wird sie ganz still und nachdenklich. Sie schüttelt sanft den Kopf, und ich kann einen feuchten Glanz in ihren Augen erkennen.

Sie drückt mich ganz fest an sich und sagt immer wieder, dass es ihr leid tut. "Es tut mir leid, wir hätten mehr machen müssen, wir hätten entschlossener handeln müssen. Es tut mir so leid - was für eine Welt haben wir euch nur gelassen."

Ich weiß nicht warum Elena so traurig ist, wenn sie von früher spricht. Ich kenne keine andere Welt als meine, und ich liebe sie - diese Welt der Bücher und die gemeinsame Zeit mit Großmutter und Elena. Nur manchmal träume ich davon, wie der süß-saure Saft eines Apfels in meinem Mund zerfließt.

eure Anouk aus der Zukunft